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Object of the month

Die Übeltaten der Pfaffen

Einen überaus seltenen Raerener Krug entdeckten wir unlängst im Kunsthandel. Dieser ist so interessant, dass sich hier eine nähere Besprechung lohnt, auch wenn wir erst Mitte März die Gelegenheit haben werden, das Objekt im Original in Augenschein zu nehmen.
Das grau-blaue Gefäß zeigt einen Fries, der nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden ist und der wohl auch schon zur Entstehungszeit nicht gerade als Massenware ausgeführt wurde. Es handelt sich um die Darstellung der “Übeltaten der Pfaffen”, datiert 1590 und gezeichnet mit IE, also von Ian Emens-Menneken, Raerens bekanntestem Töpfer.



Aufschlußreicher Zinndeckel

Der Krug selbst ist rund 33 cm hoch und trägt einen Zinndeckel aus dem Jahr 1694. Dieser ist mit einer aufschlussreichen Inschrift versehen, die wie folgt lautet: “DER AVS DIESEN HUNDERT- JAHRIGEN KRUG TRINCKEN WIL DER ZAHLE 3 SEITEL DAN HIN EIN GEHET SO VIL” - Wer aus diesem hundertjährigen Krug trinken will, der zahle drei Seidel (süddeutsches Maß), denn so viel geht hinein.
Dieser Zinndeckel, wie üblich nicht in Raeren angebracht, gibt einen seltenen und eindeutigen Hinweis darauf, dass der Krug als Trinkgefäß genutzt wurde und dies wahrscheinlich im kommerziellen Zusammenhang, in einer Kneipe also, wenn auch erst im Laufe des 17. Jahrhunderts.
Auf dem Hals trägt das Gefäß einen Fries mit der Inschrift IAN ALLERS. Dabei handelt es sich um den bekannten Geschirrhändler gleichen Namens aus Nijmegen, der laut verschiedenen schriftlichen Unterlagen rege Handelsbeziehungen auf dem Kölner Töpfermarkt unterhielt und nebenbei ein guter Bekannter und bevorzugter Handelspartner des Ian Emens war, bezeichnet ihn dieser doch in einem solchen Schriftstück als “minen komper Ian Allers”, also “meinen Kumpel”. In der Tat ist eine Kombination der Handelsmarke von Ian Allers mit den Friesen des Ian Emens keine seltene Erschei- nung.



Religiöse Propaganda

Besonders interessant an diesem Krug ist jedoch der Bauchfries, der sich bei näherem Hinschauen als das überaus seltene Motiv der “Übeltaten der Pfaffen” herausstellt. In insgesamt 9 Feldern sind fein ausgearbeitete Szenen aus dem Leben des frühneuzeitlichen Klerus zu sehen, dargestellt mit weitreichender Perspektive und vielfältigen architektonischen Elementen im Hintergrund. In einem dieser Felder steht auch das Datum 1590, in einem ande- ren die Signatur IE. Die Inschriften sind teilweise recht undeutlich und nur schwer zu entziffern - sie genau zu deuten, bedürfte es einer näheren Untersuchung des Originalkruges, zu der wir aber bisher keine Gelegenheit hatten. Eindeutig sind lediglich folgende Inschriften: PAPEN WENKEN (?) - PAPEN BICHT IS LIST - PAPEN KOPEN DI FROWEN AF - PAPEN VERLEIDEN - PAPEN BANKETIEREN - PAPEN LEIHEN GELT. Die anderen Textfelder bleiben, wie gesagt, noch zu entschlüsseln.
Mit PAPEN bzw. heute “Pfaffen” jedenfalls sind Priester gemeint; eine alte süddeutsche und eher pejorative Bezeichnung für den Klerus allgemein. Die Übersetzung der Inschriften würde also wie folgt lauten: “Pfaffen winken (?) - Die Beichte der Pfaffen ist List (verlogen) - Pfaffen kaufen sich Frauen - Pfaffen verführen - Pfaffen bankettieren (feiern Freß- und Sauforgien) - Pfaffen (ver)leihen Geld”. Daher auch der Titel, der dem Fries von Kunsthistorikern gegeben wurde: Die Übeltaten der Pfaffen.
Nun könnte man daraus schließen, dass der Klerus des ausgehenden 16. Jahrhunderts wohl nicht gerade brav gewesen ist. Dem war teilweise sicherlich auch so. Viele historische Quellen berichten von ungezügeltem und unzüchtigem Leben, vor allem in den Klöstern. Nicht weiter verwunderlich, wenn man weiß, dass der Ruf des Klosters in der Regel weniger aus geistlicher Berufung entsprang, sondern viel eher aus der Geburtssituation: Die nicht erbberechtigten Söhne und Töchter vieler Adliger wurden im Kloster sozusagen entsorgt, indem man dem Orden eine großzügige Mitgift spendete. So konnten sie keine Unruhe stiften oder gar den rechtmäßigen Erben ausbooten. Viele dieser Geistlichen hatten wohl noch nie etwas vom Evangelium gehört und genossen ihr Leben in den Klöstern in vollen Zügen. Ähnliches gilt aber auch für den normalen Klerus, der sich ebenfalls größtenteils aus Zweit- oder Drittgeborenen zusammensetzte und in vielen Fällen weltliche wie geistliche Macht und auch deren Lebensweisen vereinigte. So ist es ab dem ausgehenden Mittelalter keine Seltenheit, dass einfache Priester wie auch Bischöfe, Kardinäle und gar Päpste eine ganze Reihe von unehelichen Kindern hatten und zudem in Saus und Braus lebten, oft genug auf dem gleichen Fuß wie ihre weltlichen Verwandten, jedenfalls aber besser und opulenter als die Schäfchen der ihnen anvertrauten Herde.
Auf diese Lebensweisen spielt ein Teil der Inschriften und Darstellungen an, aber auch auf den Ablasshandel, der gerade im 16. Jahrhundert seine Blüte erlebte: Mönche, so genannte Ablass- prediger, zogen durch die Lande und führten den “dummen” Bauern und Stadtbewohnern in flammenden Reden das Grauen des Jüngsten Gerichtes vor Augen. Jede Sünde, so glaubte man, würde am Ende der Tages (oder des eigenen Lebens) in die Waagschale geworfen, mit den guten Taten abgewogen und bei Ungleichgewicht grausam mit dem Einzug ins Fegefeuer oder die Hölle bestraft. Was dort geschah, wussten die Prediger in den düstersten Farben zu schildern, aber auch, wie Abhilfe zu schaffen war. Sie verkauften nämlich so genannte Ablassbriefe, die die Beichte und die daraus resultierende Buße ersetzten. Gegen (teures) Geld konnte man sich so von der Sünde freikaufen und die Kirche hatte ungeahnte Einnahmen. Dieser Ablasshandel nahm vor allem in Deutschland ab dem Jahr 1507 massiv zu, da die Kurie in Rom und der damit beauftragte Bischof von Brandenburg in immer größere Geldnot gerieten. Darauf bezieht sich ohne Zweifel der Spruch “Papen Bicht ist List”. Ebenfalls wird die Geschäftstüchtigkeit mancher Mitglieder des höheren Klerus angesprochen: “Papen leihen Gelt” war bei jeder Lesart (leihen oder verleihen) tatsächlich keine Seltenheit unter den oben beschriebenen Umständen.
Führt man sich dann noch die Auswirkungen der Heiligen Inquisition mit daraus resultierenden Ketzerprozessen und Hexenverbrennungen vor Augen, die im 15. und 16. Jahrhundert auch Nordwesteuropa nicht verschont ließen, so wird schnell deutlich, dass die katholische Kirche zwar eine Macht in Europa war, aber nicht unbedingt eine geliebte.



Protestanten contra Katholiken

Dennoch muss man den Fries und die vielen vergleichbaren Darstellungen aus dem Bereich der damaligen Druckgrafik nicht als einzig gültige Wahrheit nehmen, sondern in ihrem Gesamtzusammenhang sehen. Gerade der Ablasshandel war es, der den Augustinermönch Martin Luther, damals Theologieprofessor an der Wittenberger Universität, am 31. Oktober 1517 dazu veranlasste, seine berühmten 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg anzunageln und damit eine religiöse Revolution auszulösen, die schon länger im Volke brodelte.
Schnell kam es zu Reaktionen auf die Kritik an der katholischen Kirche. Bereits ab 1520 erließ der spanisch-katholische Herrscher Karl V grausame Gesetze gegen die Protestanten, ab 1543 setzte sich der Calvinismus trotzdem in den nördlichen niederländischen Provinzen durch und 1565 wurden in der Bank Baelen rund 400 Personen als Anhänger der Protestanten bezeichnet. Dieser Entwicklung versuchte ab 1566/67 auch in unserer Gegen der Herzog von Alba mit seinem “Rat der Unruhen”, auch “Blutrat” genannt, ein Einhalten zu gebieten9. Diese gesamte Entwicklung führte zu einer Abspaltung der 7 nördlichen Provinzen der Niederlande und schließlich zum 30-jährigen Krieg, der im Grund nichts anderes als ein Religionskrieg war.
In dieser Zeit lebten und arbeiteten unser Jan Emens und die anderen Raerener Töpfer, natürlich nicht ganz unbeeinflusst von den Geschehnissen in der weiten Welt, zumal sie immer wieder auf den umliegenden Märkten auch die Druckgrafiken sehen konnten, die in so vielfältiger Weise den Papst und den katholischen Klerus verunglimpften und schmähten. Viele von diesen waren übrigens von einem der bekanntesten Künstler Deutschlands und gutem Freund von Luther, dem Maler Lucas Cranach geschaffen worden.
So tauchen solche politischen Propagandabilder denn recht bald auch auf Rheinischem Steinzeug auf. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist ein Medaillon aus der erzkatholischen Stadt Siegburg, das in der Art eines Vexierbildes den Papst mit seiner prunkvollen Tiara zeigt. Dreht man das Bild jedoch um, so erscheint der Teufel mit spitzem Bart und Hörnern - Christ und Antichrist in einer Person sozusagen.



Ian Emens ein Protestant?

Bleibt nun die Frage, ob Jan Emens diesen Fries mit den Übeltaten der Pfaffen aus eigenem Antrieb geschaf- fen hat, oder ob es sich um eine Auftragsarbeit handelte. Mit Sicherheit werden wir dies wohl nie herausfinden. Tatsache ist, dass er viele Inschriften und Friese religiösen Inhaltes geschnitten hat, darunter auch biblische Motive wie die Geschichte des Josef oder die des verlorenen Sohnes. Das heißt aber längst nicht, dass er sich unveränderlich der einen oder der anderen Religionsvariante zugehörig fühlte. Mit Sicherheit war Ian Emens ein kritischer Geist, der nicht mit seinen Gedanken hinter dem Berg hielt und durchaus auch in Gerichtsakten kundig ist, wobei es nicht immer nur um Immobilienangelegen- heiten ging, sondern durchaus auch um persönlichen Händel und Zwist.
Tatsache ist, dass Jan Emens um das Jahr 1588 plötzlich aus Raeren zu verschwinden scheint und dies nicht unter sehr ansehnlichen Umständen. Wir wissen nicht, ob er tot ist oder, wie Wolfram Giertz bereits 1998 vermutete, bei Nacht und Nebel in den Westerwald auswanderte, unter Hinterlassung einer beträchtlichen Menge Schulden, die seine zurückgebliebene Frau zu bewältigen hat. Dies würde zumindest einen Erklärungsansatz dafür bieten, dass unser Fries mit den Übeltaten der Pfaffen häufiger auf Westerwälder als auf typischen Raerener Gefäßformen anzutreffen ist. Giertz stellt sogar die Vermutung auf, dass der Westerwälder Töpfer Jan Mennicken nicht, wie bisher vermutet, ein Großneffe und Schüler des Ian Emens war, sondern mit diesem identisch ist - stilistisch sicherlich nicht von der Hand zu weisen. Dieser Jan Mennicken taucht ab 1595 in Grenz- hausen auf - übrigens ein Dorf mit protestantischer Bevölkerung - und ist ab 1600 in Grenzau, einem katholischen Ort zu finden. Jedenfalls ist er bereits ab 1587 in Raeren nicht mehr urkundlich nachzuweisen und 1590 lässt er sich vor Gericht von Willem Tewis und Melcher Godert vertreten, ist also mit Sicherheit noch nicht tot. Bedenkt man, dass Kohnemann sein Geburtsjahr auf 1540 schätzt, ist eine solche Abwanderung in den Westerwald zumindest nicht unmöglich. Ob dem so war und ob das Verschwinden des berühmtesten Raerener Töpfers aus seiner Heimat gar etwas mit seiner religiösen Einstellung zu tun hatte, ist natürlich damit noch längst nicht bewiesen.
Tatsache bleibt, dass der von ihm geschnittene Fries mit den Übeltaten der Pfaffen nur in ganz wenigen Exemplaren erhalten geblieben ist und sicherlich nicht als Massenware gelten kann, wie beispielsweise die Susannenkrüge eines Engel Kran oder die unzähligen Varianten des Bauerntanzmotivs. Bekannte Ausführungen finden sich auf einem nur teilweise erhaltenen Wester- wälder Humpen im Kölner Museum für Angewandte Kunst, auf einem sehr schönen Westerwälder Krug im British MuseumLondon sowie auf einem Krug Raerener Machart im Kunstgewerbemuseum Berlin - alle übrigens in graublauer Färbung. Das von Karl-Heinz Schornstein entdeckte Exemplar scheint übrigens identisch zu sein, mit dem Krug, den Otto von Falke in seinem Werk “Das Rheinische Steinzeug” beschreibt und abbildet und dessen Provenienz er dort nicht angibt.

Text by Töpfereimuseums Raeren, info@toepfereimuseum.org